Innovation Watch - Innovationskraft? Nein, danke!

Vom Tabu des Uninnovativseins

 

Die Situation kommt Ihnen wahrscheinlich bekannt vor. Sie schlendern an einem lauen Samstagnachmittag durch die Fußgängerzone Ihrer Stadt. Eine junge, gut aussehende Dame mit einem Clip-Board tritt lächelnd an Sie heran. Ob Sie kurz Zeit für eine Umfrage hätten, fragt sie Sie mit einem Augenaufschlag, bei dem Sie einfach nicht Nein sagen können. Sie rechnen mit den typischen Fragen zum Thema Klima-, Umwelt- oder Tierschutz. Doch die Frage, die Ihnen die junge Dame stellt, lässt Sie stutzen: Sind Sie für oder gegen Innovationen?


So etwas ist Ihnen höchstwahrscheinlich noch nicht passiert. Die Frage ist doch eigentlich überflüssig, weil wir doch alle für Innovationen sind. Das zeigt sich schon daran, dass das Wort „uninnovativ" weitgehend unbekannt ist. Oder haben Sie schon einmal gehört, dass jemand gesagt hat: „Dieses Unternehmen ist uninnovativ"? Zumindest mein Duden und meine Rechtschreibprüfung kennen die Verneinungsform des Wortes „innovativ" nicht. Bei anderen Worten aus dem Wirtschaftsleben ist das anders: Projektideen sind unmöglich. Unternehmen sind unwirtschaftlich. Menschen sind unfähig. Aber uninnovativ? Nein! Wir alle wollen Innovationen. Wir alle sind innovativ. Oder doch nicht?

 

 

Schöpferische Zerstörung

 

Wie würde die junge, gut aussehende Dame Sie davon zu überzeugen versuchen, dass Ihre Frage gar nicht so abwegig ist, wie sie zunächst erscheint?


Zunächst würde sie wahrscheinlich - wie die McKinseys, Bostons und Bergers dieser Welt es auch gerne tun - den Ökonomen Joseph Alois Schumpeter zitieren. Schumpeter spricht im Zusammenhang mit Innovationen von einem „Prozess der schöpferischen Zerstörung". Was damit gemeint ist, erklärt der Journalist und Schriftsteller Arthur Koestler in seinem Buch „Der göttliche Funke": „Der eigentliche Aspekt der Entdeckung hat einen destruktiven und einen konstruktiven Aspekt. Starre Anordnungen gedanklicher Organisationen müssen aufgelöst werden, damit die neue Synthese möglich wird [...] Haben sich allerdings zwei Systeme einmal miteinander verbunden, so lassen sie sich nicht mehr trennen. Darum sind die Entdeckungen von gestern die Gemeinplätze von heute, und deshalb staunen wir immer wieder, warum wir nicht früher erkannt haben, was post factum so selbstverständlich scheint."


Wenn dann die „schöpferische Zerstörung" einmal den Kopf des Innovators verlässt, setzt sie sich in der wirklichen Welt fort und führt dazu, dass liebgewonnene Produkte vom Markt verdrängt werden und ganze Industriezweige von der Bildfläche verschwinden. Die MP3-Datei zerstört den CD-Silberling zerstört die Vinyl-Schallplatte. Die Digitalkamera zerstört die analoge Fotokamera. Das Dosenpfand zerstört die Aluminium-Dose.


Es gibt sehr viele Veröffentlichungen, die sich mit dem Teil "schöpferisch" auseinandersetzen, aber nur wenige beschäftigen mit dem Teil „Zerstörung". Aus diesem Aspekt leitet die junge, gut aussehende Dame ihre drei Hauptargumente ab.

 

 

Innovationen sind riskant.


Je nach Studie, die man heranzieht, scheitern über die Hälfte bis hin zu 80 % der Produkteinführungen am Markt. Marketing- und Markenguru Martin Lindstrom meint in seinem Business-Bestseller „Buy-ology" dazu: „Von Erfrischungsgetränken über Küchentücher und Schokoriegel bis zu Haartrocknern liest sich die Liste der erfolglosen Neuheiten wie ein Sterberegister."


Laut Harvard-Professor John T. Gourville gibt es bei neuen Produkten ein Missverhältnis um den Faktor neun zwischen dem, was die Manager denken, was ihre Kunden wollen, und dem, was die Kunden wirklich wollen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Manager den Wert ihrer Innovationen überschätzen. Zum anderen entsteht es aber auch aus den notwendigen Verhaltensänderungen, die ein neues Produkt seinen Anwendern aufnötigt und die von den Verbrauchern oft nicht akzeptiert werden. Beispiele für Produkte, die ihren potenziellen Kunden zu viel Verhaltensänderung abverlangten und daher vorzeitig zu Grabe getragen wurden, sind der Online-Lebensmittelhandel von Webvan, der Hightech-Roller von Segway, in den sogar Apple-Chef Steve Jobs und Amazon-Lenker Jeff Bezos investiert hatten, und der digitale Videorekorder (DVR) der Firma TiVo.


Erstes Argument: Erfolg ist bei Innovationen die Ausnahme, Misserfolg die Regel. Die „schöpferische Zerstörung" zerstört sich meistens selbst.

 


Innovationen sind aufwendig.


Jede Innovation beginnt mir einer Idee, die aus einer forscherischen Tätigkeit entspringt und einen Wunsch nach einer verbesserten Lösung eines Problems beinhaltet. Nur ein Bruchteil der Ideen wird wirklich in marktreife Produkte umgesetzt, von denen dann auch noch - wie oben beschrieben - die meisten floppen. Dieses Phänomen nennt man auch Innovationstrichter.


Innovationen sind keine Selbstläufer, sondern harte Arbeit. Voraussetzung für Innovationen ist ein hohes Fachwissen. Doch selbst bei Vorhandensein des notwendigen Wissens entstehen nicht automatisch Innovationen. So beschreibt die Wirtschaftsprofessorin Rosabeth Moss Kantner in der Harvard Business Review das Beispiel eines Textilunternehmens, das gemeinsam mit den Mitarbeitern eine inkrementelle Innovation an einer Webmaschine realisiert hat, um das Reißen des Garns zu verhindern. Auf die Frage, wie lange er die Idee bereits gehabt habe, antwortete der Mitarbeiter, der den Anstoß zu der Innovation gegeben hatte: „32 Jahre!"


Zweites Argument: Innovationen entstehen nicht automatisch - auch wenn das notwendige Wissen dafür vorhanden ist. Die „schöpferische Zerstörung" scheitert oft am Schöpferischen.

 

 

Innovationen sind unerwünscht.


"Auf 1 Erfindung in Deutschland kommen 100 Fachleute, die davor warnen", schreibt Dr. Florian Langenscheidt in einem Beitrag für das Querdenker-Magazin. Und John T. Gourville kommt im Harvard Business Manager zu folgender ernüchternder Erkenntnis: "Viele Firmen geben Milliarden für Forschung und Entwicklung aus - nur um anschließend festzustellen, dass die Konsumenten die Innovationen rigoros ablehnen."


In dieses Missverhältnis geht sicherlich ein, dass einige Unternehmen ihre neuen Produkte konsequent an den Kundenbedürfnissen vorbeientwickeln. Einen großen Anteil hat jedoch auch die Trägheit der Verbraucher gegenüber Verhaltensänderungen. Der Historiker J.B. Bury beschrieb diese Phänomen bereits 1914 mit folgenden drastischen Worten in seinem Werk „Freedom of Thought": "Das durchschnittliche Gehirn ist von Natur aus faul und tendiert dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen." Eine neue Idee ist da natürlich ein Störfaktor, da die Gedanken neu sortiert werden müssen; und „dieser Prozess ist arbeitsintensiv und erfordert eine schmerzhafte Aufwendung an Gehirn-Energie."


Innovationen erzeugen Widerstände, eben weil sie Altes zerstören. Und mit dem Grad der Neuheit einer Lösung nehmen die Widerstände zu. Inkrementelle Produktverbesserungen oder Produktinnovationen auf Basis neuer Technologien und/oder der Befriedigung neuer Kundenbedürfnisse sehen sich Widerständen der veralteten Technologien und der eingespielten Verhaltensweisen gegenüber. Systeminnovationen, die zusätzlich eine Veränderung der Infrastruktur erfordern (z. B. Elektroautos), stoßen darüber hinaus auf die Widerstände der alten technischen und sozialen Infrastrukturen. Auf Neudeutsch heißt das dann: Old technologies fight back.

 

Diese Widerstände bekamen auch Innovatoren in Deutschland öfter zu spüren. Die Annalen der deutschen Erfinderverbände sind gefüllt mit menschlichen Tragödien. Somit ist es dann auch kein Wunder, dass viele deutsche Erfindungen, die erfolgreiche Innovationen wurden, fast ohne nationale Wertschöpfung blieben - so z.B. das Fax-Gerät von Rudolf Hell, der Computer von Konrad Zuse oder das MP3-Format von Karlheinz Brandenburg.


Drittes Argument: Mit Innovationen macht man sich keine Freunde. Alte Technologien lassen sich nicht gerne zerstören - auch nicht schöpferisch.

 

 

Ausstieg

 

„Wir treten dafür ein, das Tabu des Uninnovativseins zu brechen", erklärt Ihnen die junge, gut aussehende Dame. „Wir sollten uns endlich zu unserer Uninnovativität bekennen und den Ausstieg aus der Innovationspolitik einleiten."


Nun sind Sie doch ein wenig verunsichert. Ihnen wird ob dieser Argumentation sogar ein wenig schwindelig. Bleibt am Ende bei allen Innovationskonferenzen, Innovationsförderprogrammen und Innovationspreisen doch nur ein Innovations-Hype übrig?


„Aber keine Angst", beruhigt Sie die junge, gut aussehende Dame lächelnd. „Bestimmt erfolgt irgendwann ja wieder der Ausstieg aus dem Ausstieg."

 

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