Knowledge Watch - Die Pyramide von Maslow

In keinem Studium der Betriebswirtschaft darf sie fehlen, in jedem Lehrbuch über Arbeitswissenschaften und Organisation taucht sie auf: die Maslow´sche Bedürfnis-Pyramide. Sie geht zurück auf den Artikel „A Theory of Human Motivation“, den der Psychologe Abraham Harold Maslow 1943 in der Zeitschrift Psycological Review veröffentlichte und später zu dem Buch „Motivation and Personality“ (Erstausgabe 1954) ausarbeitete, das in Deutschland unter dem Titel „Motivation und Persönlichkeit“ erschienen ist. Dort beschreibt Maslow eine Hierarchie aus Grundbedürfnissen. Aber nicht in Form einer Pyramide. Und ohne ein Bedürfnis nach Wissen. Aber der Reihe nach…

Die Grundbedürfnisse nach Maslow sind in aufsteigender hierarchischer Reihenfolge:

  • physiologische Bedürfnisse („physological needs“),
  • Sicherheitsbedürfnisse („safety needs“),
  • Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Liebe („love needs“),
  • Bedürfnisse nach Achtung („esteem needs“) und
  • Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung („need for self-actualization“),

wobei die ersten vier Mangelbedürfnisse sind – d.h. sie werden durch einen konkreten Mangel ausgelöst und verschwinden, wenn dieser Mangel beseitigt wurde. Nur die Selbstverwirklichung ist ein Wachstumsbedürfnis – ein Bedürfnis, das nicht durch einen Mangel verursacht wird, sondern durch die persönlichen Eigenheiten und Neigungen. Durch die Befriedigung der niedrigeren Bedürfnisse werden höhere Bedürfnisse erst wirksam.

 

Die Darstellung als Pyramide ist jedoch irreführend und wird in dieser Form von Maslow nicht verwendet. Denn ein Bedürfnis wird nicht erst dann wirksam, wenn das nächsttiefere Bedürfnis vollständig befriedigt wurde. Daher ist es im Sinne von Maslow angebrachter, die Hierarchie als relative Vorrangverhältnisse menschlicher Bedürfnisse zu verstehen. Durch dieses Verständnis wird nicht nur die Dominanz einzelner Bedürfnisse erklärbar, sondern auch das latente Vorhandensein mehrerer Bedürfnisse und die Dynamik beim Übergang von einem dominierendem Bedürfnis zum nächsten (z.B.: Ich lese gerade ein interessantes Buch, obwohl ich etwas Hunger verspüre. Erst wenn der Hunger zu stark wird, lege ich das Buch weg und suche mir etwas zu essen.). Die Pyramide entspringt somit nicht Maslows Erkenntnis, sondern wohl eher dem Bedürfnis der Manager und Consultants, komplexe Theorien auf eine möglichst einfache Darstellung platt zu klopfen – vermutlich ein Sicherheitsbedürfnis.

 

So kommt es, dass Maslow oft zu Unrecht kritisiert wird, weil die Kritiker nicht auf sein Originalwerk zurückgreifen, sondern auf die vereinfachten Darstellungen in den Lehrbüchern. So schreibt beispielsweise Felix von Cube in seinem Buch „Führen durch Fordern“ (Untertitel: „Die BioLogik (sic!) des Erfolgs“): "Zweifellos hat Maslow die fundamentale Bedeutung der Bedürfnisse richtig erkannt. Nicht richtig ist jedoch die Auffassung, dass man diese Bedürfnisse nacheinander erfüllen und dann sozusagen »abhaken« könne." Das hat Maslow so gar nicht behauptet, zumindest nicht in „Motivation und Persönlichkeit“, auf das sich von Cube explizit im Literaturverzeichnis bezieht. Ich hatte Gelegenheit, dies auf einer Konferenz in Aachen mit von Cube zu diskutieren. Im Verlauf der Diskussion musste er dann eingestehen, dass er Maslow gar nicht so genau gelesen habe.

 

Einher mit der vereinfachten Darstellung von Maslows Motivationstheorie geht auch die Frage, wie der Erkenntnisdrang des Menschen in die Pyramide passt. Eine Frage, der besonders in einer Wissensgesellschaft ein hoher Stellenwertr zukommen sollte. Oft wird das Bedürfnis nach Wissen auf andere Grundbedürfnisse zurückgeführt, da es in der Pyramide explizit nicht auftaucht. So postuliert z.B. besagter Felix von Cube in seinem bereits erwähnten Buch „Führen durch Fordern“ einen „Neugiertrieb“, der auf dem Sicherheitsbedürfnis basiert: „Je ausgedehnter die erforschte Umgebung, je mehr Probleme gelöst sind, je mehr Wissen man hat, je mehr Neues zu Bekanntem geworden ist, desto größer ist die erreichte Sicherheit. Der Neugiertrieb ist in Wirklichkeit ein Sicherheitstrieb!“.

 

Maslow warnt aber ausdrücklich davor, Wissen und Erkenntnis lediglich als eine Unterfunktion eines anderen Grundbedürfnisses anzusehen: „Wissen zu erwerben und das Universum in ein System zu bringen, wurde teilweise als eine Technik für die Erlangung grundlegender Sicherheit in der Welt betrachtet oder, beim intelligenten Menschen, als Ausdruck der Selbstverwirklichung. [...] Nützlich wie solche Formulierungen sein mögen, stellen sie dennoch nicht definitive Antworten auf die Fragen nach der motivierenden Rolle der Neugier, des Lernens, Philosophierens, Experimentierens und so weiter dar.“ Somit kommt Maslow ebenfalls zu dem Schluss, dass das Bedürfnis nach Erkenntnis zu den Grundbedürfnissen zu rechnen ist: „Das Bedürfnis zu wissen und zu verstehen ist in sich selbst willentlich, das heißt, hat einen begehrenden Charakter und stellt ebenso Persönlichkeitsbedürfnisse dar wie die bereits diskutierten Grundbedürfnisse.“ Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Grundbedürfnis in der Pyramide überhaupt nicht vorkommt.

 

Die Frage, wie das Erkenntnisbedürfnis mit der Hierarchie der Grundbedürfnisse zusammenhängt, beantwortet Maslow in seinem Werk „Die Psychologie der Wissenschaft“ (Originaltitel: „The Psychology of Science“), in dem er auf das Thema der Erkenntnisgewinnung – speziell in den Wissenschaften – fokussiert. Ein Teil des Erkenntnisdrangs ist unter dem Sicherheitsbedürfnis einzuordnen und dient zur Beseitigung von Furcht oder Angst. Maslow bezeichnet diesen Vorgang auch als „Entgiftung“ eines unbekannten, furchteinflößenden Objektes. Ein Erkenntnisdrang, der sich ausschließlich aus dem Sicherheitsbedürfnis speist, führt jedoch zu kognitiven Pathologien, die zum Beispiel in voreiligen Verallgemeinerungen, dem Leugnen von Nichtwissen und Zweifeln oder übertriebener Schwarz/Weiß-Malerei zum Ausdruck kommen.

 

Ein Teil des Erkenntnisdrangs ist dagegen ein Wachstumsbedürfnis. Der „gesunde“ Entdecker agiert im Spannungsfeld aus Präzision und Mehrdeutigkeit, Vernunft und Emotion, Ordnung und Chaos, gesundem Menschenverstand und wagemutigen Phantastereien. Oder in den Worten Maslows: „Diese Fähigkeit, sowohl beherrscht als auch unbeherrscht zu sein, angespannt oder entspannt, vernünftig oder verrückt, nüchtern oder verspielt (oder jeweils beides zu gleich), scheint mir nicht nur für die psychologische Gesundheit, sondern auch für die wissenschaftliche Kreativität kennzeichnend.“

 

Maslow verdeutlicht den Unterschied zwischen mangelmotiviertem defensivem und wachstumsmotiviertem, positivem Erkenntnisdrang durch folgende bildliche Darstellung: „Auf der einen Seite haben wir den Seufzer der Erleichterung, das Gefühl des Spannungsabbaus, zum Beispiel bei einem besorgten Hausvater, der ein unerklärliches, erschreckendes Geräusch im unteren Stockwerk mitten in der Nacht mit der Pistole in der Hand untersucht. Das ist etwas völlig anderes als die Erleuchtung und das Hochgefühl, ja die Ekstase eines jungen Studenten, wenn er unter dem Mikroskop zum ersten Mal die minuziöse Struktur einer Zelle erblickt [...].“ (Dieses erhellende Beispiel hat Maslow erstaunlicherweise in eine Fußnote seines Buches verbannt.)

 

Was können wir also daraus lernen?

  1. Maslow wird in den Lehrbüchern viel zu stark vereinfacht.
  2. Der Erkenntnisdrang ist ein eigenständiges Grundbedürfnis und als solches bei der Motivation zu berücksichtigen.
  3. Es lohnt sich, die Klassiker der Wirtschaft und Wissenschaft im Original zu lesen, und es ist gefährlich, sich nur auf Sekundärquellen zu verlassen.

 

Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Woher kommt die Pyramide? In Maslows Buch „Motivation und Persönlichkeit“ taucht sie nicht auf – weder ist dort eine Pyramide abgebildet, noch wird das Wort „Pyramide“ im Zusammenhang mit der Hierarchie der Bedürfnisse dort verwendet. Also, woher kommt nun, verdammt nochmal, die Pyramide? Welcher findige Manager oder Consultant hat sie erdacht? Kann mir jemand diese Frage beantworten?

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Gelegenheitsleser (Sonntag, 07 November 2010 20:40)

    Hallo,

    der Annahme der Vereinfachung folgend dürfte die Pyramidendarstellung vor 1970 enstanden sein, denn ab dann wurde die Logik erweitert:

    "Most representations of Maslow’s Hierarchy of Needs are from the 1954 version with 5 levels – and not his updated version of 7 levels from 1970"

    Quelle: http://eppic.biz/2007/10/12/what-guidance-for-approaching-learning-is-there-from-maslows-hierarchy-of-needs/

  • #2

    Alisia Priolo (Freitag, 03 Februar 2017 15:14)


    With havin so much content do you ever run into any problems of plagorism or copyright infringement? My website has a lot of unique content I've either created myself or outsourced but it looks like a lot of it is popping it up all over the internet without my permission. Do you know any methods to help stop content from being ripped off? I'd really appreciate it.

  • #3

    Jenni Johnston (Freitag, 03 Februar 2017 16:35)


    Hello there, just became alert to your blog through Google, and found that it's really informative. I'm going to watch out for brussels. I'll be grateful if you continue this in future. A lot of people will be benefited from your writing. Cheers!

  • #4

    Tam Struck (Sonntag, 05 Februar 2017 13:00)


    Today, I went to the beach with my children. I found a sea shell and gave it to my 4 year old daughter and said "You can hear the ocean if you put this to your ear." She put the shell to her ear and screamed. There was a hermit crab inside and it pinched her ear. She never wants to go back! LoL I know this is entirely off topic but I had to tell someone!