Ein weiteres Beispiel für den Kobra-Effekt liefert Bill Bryson in seinem wunderbaren Buch „A Short History of Nearly Everything“. Wir erinnern uns: Der Kobra-Effekt beschreibt Anreize, die nicht den gewünschten Effekt erzielen, sondern das Gegenteil. Benannt wurde er nach einer Kopfprämie, die der britische Gouverneur von Indien auf Kobras aussetzte, woraufhin die schlauen Inder Kobras züchteten, um einfacher die Kopfprämie kassieren zu können.
Bryson beschreibt in seinem Buch einen Kobra-Effekt, den der Forscher Ralph von Koenigswald erzielte. Dieser hatte auf Java Knochen von Urzeitmenschen gefunden, also unseren evolutionären Vorfahren. Um noch mehr Knochen zu finden, bot er den Einheimischen 10 Cent pro gefundenem Knochenfragment an. Zu seinem Entsetzen musste er wenig später feststellen, dass die Leute jeden gefunden Knochen in kleine Fragmente zerschlugen, um ihren Profit zu maximieren. Ein klassisches Beispiel, wie quantitative Anreize nach hinten losgehen können, wenn nicht gleichzeitig qualitative Anreize gesetzt werden.
In Unternehmen trifft man dieses Phänomen leider auch an. Es dürfte sich zwar mittlerweile herumgesprochen haben, dass ein Bonus auf den erbrachten Output in der Produktion im Wesentlichen zu höherem Ausschuss führt, sodass es Sinn macht, den Bonus nur auf die Gutteile zu beziehen. Aber auch in diesem Fall kann ein Kobra-Effekt eintreten, wenn die Produktionsmitarbeiter ihre Maschinen und Werkzeuge in die Brüche fahren – z.B. wenn Instandhaltungszeiten den Bonus nicht beeinflussen.
Und in der Kundenauftragsfertigung führt das Mengendenken dazu, dass am Ende jeden Monats ganz viele Aufträge verspätet oder verfrüht sind. Denn die Mitarbeiter ziehen ab der Mitte des Monats die leichten Aufträge den schwierigen vor, um auf ihre vereinbarte Menge zu kommen und ihren Bonus zu erhalten. Dies führt dann einerseits dazu, dass die Kundenzufriedenheit sinkt, weil die Aufträge nicht pünktlich ausgeliefert werden. Und zum anderen dazu, dass nicht die Produkte mit dem höchsten Deckungsbeitrag vorgezogen werden, weil das in der Regel nicht die sind, die am leichtesten zu fertigen sind.
Das Beispiel des Ralph von Koenigswald sollte uns allen eine Lehre sein…
Kommentar schreiben