Innovation Watch - Innovationsevolution

Die Evolutionstheorie wurde von Charles Darwin erstmals in seinem Werk "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" aus dem Jahre 1859 beschrieben. Das Buch wird gerne als "kopernikanische Wende in der Biologie" bezeichnet. Nachdem Kopernikus den Menschen aus der Mitte des Universums verbannt hatte, hat Darwin dem Menschen auch noch die Krone der Schöpfung geraubt. Seitdem wurde die Theorie zwar einigen Änderungen unterzogen, aber an der grundsätzlichen Erkenntnis Darwins hat sich nichts geändert.

 

Die Weiterentwicklung einer Art erfolgt im Wesentlichen durch drei Evolutionsfaktoren: Rekombination, Mutation und Selektion. Die Ähnlichkeiten der Faktoren von der Entstehung neuer Arten und der Entstehung von Innovationen hat mich dazu bewogen, einmal die Analogien der Evolultionstheorie zur Innovationstheorie zu beschreiben. Aus dem Blickwinkel der Gesellschaft wirken sich die Faktoren auf bestehende Technologien aus und führen zur "Innovationsevolution". Beispiele für die Evolution von Technologien finden sich im Buch "Technolution" von Matthias Horx.

 

In der nachfolgenden Tabelle finden Sie daher "Die Entstehung der Innovationen durch gesellschaftliche Zuchtwahl", die vielleicht in naher Zukunft zu einer "kopernikanischen Wende in der VWL" führen wird (Wer weiß...):

 

Faktor Evolution Innovation
Rekombination

Zwei Eltern erzeugen einen Nachkommen, in dem die Erbanlagen der Eltern neu kombiniert werden.

Der Nachkomme besitzt neue Eigenschaften und erhöht so die Variabilität der Population.

Wissen aus zwei Kontexten erzeugt eine Idee, in der das Wissen neu kombiniert ist.

Die Idee besitzt neue Eigenschaften und erhöht so die Variabilität der (Fortschritts-)Möglichkeiten einer Gesellschaft.

Mutation

Durch spontane, zufällige Mutationen entstehen ebenfalls veränderte Erbanlagen.

Eine Mutation kann positive, negative oder keine Auswirkungen auf die Überlebensfähigkeit des Organismus haben.

Die meisten Mutationen sind für das Überleben der Population unbrauchbar und sterben aus.

Durch spontane Mutation einer Idee entstehen ebenfalls neue Ideen mit veränderten Eigenschaften. Eine neue Idee kann positive, negative oder neutrale Auswirkungen auf den Fortschritt der Gesellschaft haben. Die meisten neuen Ideen sind für die Gesellschaft unbrauchbar und werden nicht realisiert.

Selektion

Selektion ist die natürliche Auslese von Organismen durch die Umwelt aufgrund begrenzter Ressourcen.

Da in den meisten Populationen viel mehr Nachkommen erzeugt werden, als im Lebensraum überleben können, sterben viele, bevor sie sich weiter fortpflanzen können.

So pflanzen sich im Wesentlichen  die Nachkommen mit den in der derzeitgen Umwelt vorteilhaftesten Merkmalen weiter fort. Nachkommen mit neuen Merkmalen müssen sich dabei gegen Artgenossen mit herkömmlichen Merkmalen durchsetzen ("Survival of the fittest" = "Überleben des Passendsten").

Selektion ist die gesellschaftliche Auslese von Ideen durch Innovationswiderstände aufgrund begrenzter Ressourcen. Da in modernen Gesellschaften viel mehr Ideen erzeugt werden, als in der Gesellschaft realisert werden können, werden viele verworfen, bevor sie ihre Wirkung entfalten können. So werden im Wesentlichen die Ideen realisiert, die im derzeitigen gesellschaftlichen Innovationsklima die vorteilhaftesten Merkmale besitzen. Neue Ideen müssen sich dabei gegen alteingesessene Technologien durchsetzen ("Old technologies fight back.").

Sollten diese Analogien zutreffen - was durchaus diskussionswürdig ist -, so ergeben sich daraus meines Erachtens folgende Schlussfogerungen:

  • Most things fail - in der Biologie und in F&E
    Wie bereits Paul Omerod in seinem Buch "Why most things fail" dargelegt hat, ist die hervorstechendste Gemeinsamkeit von biologischer Evolution und Wirtschaftsleben, dass die meisten Arten bzw. die meisten Unternehmen und Branchen früher oder später scheitern. Bei Unternehmen ist dies umso erstaunlicher, als Veränderungen nicht rein zufällig passieren, sondern - meistens - das Ergebnis einer bewussten strategischen Ausrichtung durch ein gut ausgebildetes Management sind.
    Die Versagensrate für Neues ist dementsprechend hoch: Die meisten Mutationen sind nicht überlebensfähig. Ebenso sind die meisten neuen Produkte Flops - einige Quellen sprechen von bis zu 80 %.
  • Systeminnovationen haben es schwer - zu viel Veränderung
    Je größer die Veränderung ist, desto größer ist die Gefahr des Scheiterns. Größere Mutationen haben kaum eine Überlebenschance. Ähnlich ist es bei Produkten: Große Änderungen im Verhalten der Nutzer oder in der Infrastruktur sind viel eher zum Scheitern verurteilt - oder dauern doch zumindest wesentlich länger, um sich durchzusetzen. Ich habe bereits an anderer Stelle in diesem Blog auf die Schwierigkeiten von Systeminnovationen hingewiesen.
  • Selektion ist ein blinder Prozess - nicht unbedingt der Beste gewinnt
    In einigen Teilen der Gesellschaft, aber insbesondere bei vielen Erfindern herrscht der Glaube, dass sich immer das beste Produkt durchsetzen muss. Leider zeigt ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte, dass dem nicht so ist. Als Beispiel sei hier nur die bekannte QWERTY-Tastatur erwähnt, die entwickelt wurde, um das Schreiben zu verlangsamen, damit die Hebel der Schreibmaschine nicht verklemmen. Die später entwickelte Dvorak-Tastatur hat sich trotz großer Vorteile bei moderneren Schreibgeräten, die ohne verklemmende Hebel funktionieren, bisher nicht durchsetzen können. Auch in der Evolution überlebt nicht der - vermeintlich - Beste. Der Ausspruch "survival of the fittest" beutet dann auch nicht "Überleben der Stärkeren bzw. Besten", sonderen "Überleben des Angepasstestens". D.h. nur wer sich (permanent) an seine Umwelt anpasst, kann langfristig überleben.
  • Viele Ideen sind von Vorteil - für die Gesellschaft, nicht unbedingt für den Ideengeber
    Für eine Gesellschaft ist es sicherlich nützlich, wenn viele Ideen generiert und anschließend umgesetzt werden. Denn je größer die Zahl der neuen Ideen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass erfolgreiche Ideen dabei sind, die den Fortschritt fördern und den Wohlstand sichern.
    Dies gilt aufgrund der großen Versagensrate von neuen Produkten nicht unbedingt für den Ideengeber und -umsetzer. Erfinder, die sich mit "Haut und Haar" einer Idee verschrieben haben, stehen am Ende ihres Lebens oft vor dem Nichts - manchmal bereits früher. Gescheiterte Existenzen und menschliche Tragödien sind die Folgen. Wie sagt man so schön: "Drum prüfe, wer sich ewig binde, ob sich nicht noch was bess´res finde." Ein Ausweg sind vielleicht die Ansätze des Effectuation: mit den vorhandenen Mitteln operieren, Risiken minieren und flexibel auf Änderungen reagieren.

 

Ich glaube, ich habe die Analogie nun genug strapaziert und wünsche viel Vergnügen beim Sinnieren...

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