Knowledge Watch - Lebenszyklus von Finanzprodukten

Jedes Produkt durchläuft einen Lebenszyklus, der durch die Lebensspanne und durch unterschiedliche Phasen gekennzeichnet ist. Der idealtypische Produktlebenszyklus besitzt die Form einer Glockenkurve mit den vier Phasen Entstehung, Wachstum, Reife und Niedergang (siehe Abbildung). Die Form der Kurve ergibt sich aus dem Marktbedarf: Zunächst kaufen nur Innovatoren das neue Produkt, dann folgen Frühadopter und die breite Masse sowie schließlich die Nachzügler. Das Umsatzvolumen steigt bis zur Phase der Reife und ist danach rückläufig. Lernkurveneffekte bei der Herstellung immer größerer Volumina führen dazu, dass die Kosten sinken, gleichzeitig die Gewinne aber steigen (Economies of Scale). Die Qualität der Produkte wird dadurch und durch kontinuierliche Verbesserungsmaßnahmen am Produkt und am Produktionsprozess immer höher.

Der Produktlebenszyklus
Der Produktlebenszyklus

Soviel zur Theorie. Überträgt man diese auf die Praxis, so kann man feststellen, dass diese bei Produktionsgütern ziemlich gut funktioniert. Aufgrund der Einordnung der eigenen Produkte in die unterschiedlichen Phasen kann ein Unternehmen also seine Produkt- und Preispolitik sowie Maßnahmen in Produktion, Distribution und Marketing an die bestehenden Gegebenheiten anpassen. Mit Hilfe des bekannten Marktanteils-Marktwachstums-Portfolios kann es außerdem einen gesunden Produktmix einstellen, der sowohl Ertrags- als auch Wachstumschancen beinhaltet. Damit können über den Lebenszyklus steigende Umsatzziele erreicht werden, solange bis der Marktbedarf ausgeschöpft ist.

 

Ich habe mich nun gefragt, ob die Lebenszyklustheorie auch bei Finanzprodukten funktioniert. Als Beispiel soll hier die aus der Finanzkrise bekannt gewordenen Collateralized Debt Obligations (CDO) herangezogen werden, die ihren Lebenszyklus ja bekanntlich hinter sich haben. In diesen CDOs wurden Bankkredite im Wesentlichen auf Immobilien gebündelt und in Tranchen weiterverkauft, um das Risiko der Banken bei Kreditausfällen zu streuen. Die Risikostreuung hat im Fall der CDOs aus bestimmten Gründen nicht funktioniert; diese sollen uns an dieser Stelle aber nicht weiter interessieren (Wen es dennoch interessiert, kann sie in der einschlägigen Literatur zum Thema nachlesen, z.B. in „Kasino-Kapitalismus“ von Hans-Werner Sinn).

 

Den CDOs lagen wie gesagt im Wesentlichen Immobilienkredite zu Grunde. Durch das starke Wachstum im CDO-Markt wurden immer größere Kreditvolumina benötigt, um den Marktbedarf nach CDOs zu decken. Insofern entspricht die Entwicklung des CDO-Marktes noch der klassischen Lebenszyklustheorie. Nun kommt aber ein entscheidender Unterschied: Mit der Zunahme der CDOs und damit der Immobilienkredite nahm die Qualität der Kredite und damit der CDOs nicht zu, sondern ab, was sich allerdings nicht in den Ratings der CDOs niederschlug. Die Vergabepraxis für Immobilienkredite ging schließlich soweit, dass verstärkt Kredite an so genannte NINJA-Kunden (no job, no income, no assets) vergeben wurden, die über keine ausreichenden Sicherheiten zur Rückzahlung verfügten und damit vermehrt zu Kreditausfällen führten. Außerdem nahm aufgrund der sinkenden Vergabestandards auch der Kreditbetrug zu. So kommt der Financial Crisis Inquiry Report der National Commission on the Causes of the Financial and Economic Crisis in the United States zu folgender Schlussfolgerung: “Lax mortgage regulation and collapsing mortgage-lending standards and practices created conditions that were ripe for mortgage fraud.”

 

Und hier weichen CDOs deutlich vom bekannten Modell ab: Die Knappheit der hinter dem Finanzprodukt stehenden Realgüter in Verbindung mit der hohen Nachfrage nach CDOs erzeugte den Anreiz, die Standards bei der Kreditvergabe immer weiter zu sinken, um die Nachfrage nach immer neuen Immobilienkrediten decken zu können. Der Häusermarkt wurde durch eine „künstliche“ Nachfrage bestimmt, die von denen ausging, die die Immobilienkredite vergaben, und nicht von denen, die ein Haus bauen wollten. Der überproportionale Anstieg der Immobilienkredite führte schließlich zu einer Überhitzung des Häusermarktes. Ein Lernkurveneffekt, der bei Verdoppelung der kumulierten Menge zu einer Reduzierung der Kosten führt, ist nicht zu erkennen. Ebenso wenig eine Erhöhung der Qualität durch Verbesserung am Produkt oder am Herstellungsprozess.

 

Was für die CDOs gilt, gilt meiner Ansicht nach in kleinerem oder größerem Umfang für alle Finanzprodukte. Da Finanzprodukte von den Realgütern abgekoppelt sind, greifen bei ihnen keine Lernkurveneffekte. Im Gegenteil führt die Knappheit der Realgüter bei entsprechender Nachfrage dazu, dass die Qualität des Finanzproduktes immer weiter abnimmt. Überzogene Renditeerwartungen tun ihr übriges, um den Prozess zu verschärfen. Während also eine Volumensteigerung bei Produktionsgütern zu einer erhöhten Qualität bei sinkenden Kosten führt, wird bei Finanzprodukten die Qualität mit zunehmender Zeit schlechter, während die Kosten tendenziell steigen. Hier drängt sich nun die Schlussfolgerung auf: Bei neuen Finanzprodukten sollte man entweder frühzeitig ein(- und wieder aus)steigen oder lieber ganz die Finger davon lassen. Denn besser werden sie nicht mehr. Es scheint sich hier der Ausspruch zu bewahrheiten: Den Letzten beißen die Hunde.

 

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