Drei Lehren für Innovatoren aus dem Zhuangzi
Das Zhuangzi, auch bekannt als „Das wahre Buch vom südlichen Blütenland“, wird neben dem Daodejing als eines der Hauptwerke des philosophischen Daoismus angesehen. Die so genannten Inneren Kapitel des Werkes werden Zhuangzi (oder auch Zhuang Zou bzw. „Meister Zhuang“) zugeschrieben, der vermutlich zwischen 400 und 300 v. Chr. gelebt hat und neben Laotzi die zentrale Persönlichkeit des Daoismus darstellt. Die Autorschaft der anderen Teile des Zhuangzi ist umstritten. Unumstritten ist aber, dass das Zhuangzi einige der literarisch schönsten Abhandlungen über den Daoismus enthält. Darunter auch im ersten Kapitel mit dem Titel „Unbekümmertes Wandern“ drei Lehren für Innovatoren, die auch in der heutigen Zeit noch ihre Gültigkeit besitzen.
Der nutzlose Kürbis
Im letzten Abschnitt des ersten Kapitels beklagt sich Meister Hui bei Meister Zhuang über Kürbissamen, die ihm der König von Wei geschenkt hat. Die daraus gewachsenen Kürbisse sind so groß, dass sie sich weder als Flasche noch als Schöpfkelle eignen. Daher meint Hui, die Kürbisse seien nutzlos. Meister Zhuang widerspricht ihm und wirft ihm vor, zu beschränkt zu sein, um die Größe der Kürbisse zu nutzen. Er hätte sie sich beispielsweise als Bojen umbinden können, um auf dem Wasser zu schwimmen.
Der Nutzen einer Technologie wird durch ihren Einsatz bestimmt. Meister Hui misst den Nutzen des großen Kürbisses nur an den Einsatzmöglichkeiten der gewöhnlichen, kleineren Kürbisse. Für diese Einsatzmöglichkeiten ist der Kürbis aber nutzlos. Nutzen und Nutzlosigkeit sind also relative Kategorien, die nicht von der Technologie, sondern von ihrem Gebrauch abhängen.
Bei der Einführung einer neuen Technologie ist Flexibilität gefragt. Die geplanten Märkte bieten häufig nicht die Einsatzfelder, in denen eine neue Technologie ihren vollen Nutzen entfalten kann. Viagra war als Mittel gegen Bluthochdruck geplant. Mit dem Laser wollte das Militär eine Raketenabwehr in Star Wars-Manier realisieren. Mittlerweile konnte der Laser in unzähligen Anwendungen seinen Nutzen entfalten, nur nicht als Raketenabwehr. Vom Nutzen der violetten Pillen wollen wir gar nicht erst sprechen. Gerade disruptive Technologien entfalten ihr Potenzial oft erst auf Nischenmärkten und erschließen sich anschließend erst Massenmärkte. Der Einsatz einer neuen Technologie ist also ständig an den Nutzen in unterschiedlichen Gegebenheiten anzupassen.
Salbe für rissige Hände
In dem oben erwähnten Gespräch zwischen Meister Hui und Meister Zhuang erzählt Meister Zhuang eine Geschichte über eine Salbe für rissige Hände. Diese wurde von einem Mann aus Song erfunden, der Rohseide wusch und ständig rissige Hände hatte. Ein Fremder kaufte ihm das Rezept für wenige Goldstücke ab. Er stattete daraufhin die Flotte des Königs von Ngwa mit der Salbe aus, die dadurch gegen das Königreich Viet gewann, weil ihre Hände nicht mehr rissig wurden. Daher wurde er vom König von Ngwa reich belohnt.
Erfolg oder Misserfolg einer Innovation hängen maßgeblich vom verwendeten Geschäftsmodell ab. Zu einem Geschäftsmodell gehören neben dem eigentlichen Wertangebot der Innovation auch die angepeilten Kundensegmente, die Kundenbeziehungen, die Wertschöpfungskette mit ihren Kostenbestandteilen, Vertriebskanäle und Distributionsstrategie sowie die Einnahmequellen. Im obigen etwas drastischen Beispiel bleibt der Erfinder der Salbe arm und muss sein Leben lang Rohseide waschen, obwohl er ein tolles Produkt erfunden hat. Der Fremde – in der Geschichte der Unternehmertyp – findet ein anderes Geschäftsmodell und wird reich entlohnt.
Die Technikgeschichte kennt viele Erfinder, die ihre Neuheiten nicht auf den Markt bringen konnten, da ihnen das passende Geschäftsmodell fehlte, und Unternehmer, die dies nachträglich vollbrachten und dafür die Lorbeeren ernteten. Meistens bleiben nur die Namen der erfolgreichen Unternehmer im Gedächtnis. Die Namen der erfolglosen Erfinder geraten in Vergessenheit. Edison hat die Glühbirne nicht erfunden. Das haben andere vor ihm bereits erledigt. Aber er hat die Glühbirne zur Marktreife geführt. Dazu gehörte unter anderem auch, dass er das gesamte Geschäftsmodell „Elektrisches Licht“ mit allen zugehörigen Komponenten wie Stromgeneratoren, Kupferkabeln, Glühbirnenfassungen, Stromzählern etc. entwickelte und gegen das bisherige Geschäftsmodell „Gaslicht“ durchsetzte.
Unternehmen, die radikal neue Produkte oder Services entwickeln, stehen oft vor dem Problem, dass die Innovation nicht zu ihrem alten Geschäftsmodell passt oder umgekehrt. Ein kleiner Digitaldrucker wird anders verkauft als eine große Offset-Druckanlage. Ein MP3-Musikstück erfordert andere Kanäle zum Kunden und eine andere Wertschöpfungskette als Musik auf CD. Oft setzt sich dabei der Status-quo im Unternehmen durch: Das bestehende Geschäftsmodell mit seinen bisherigen Erfolgen verdrängt die Innovation. Manchmal zum langfristigen Nachteil des Unternehmens bzw. zum Vorteil eines flexibleren Konkurrenten. Erst durch die iTunes-Plattform von Apple kam das Geschäft mit bezahlten MP3-Musikdateien in Schwung. Die großen Plattenfirmen konnten sich zuvor nicht auf eine Plattform einigen und müssen sich nun von Apple die Bedingungen diktieren lassen.
Zeremonialhüte
In einem weiteren Abschnitt des ersten Kapitels wird von einem Mann aus Song berichtet, der versuchte, im Staat Viet Zeremonialhüte zu verkaufen. Doch die Menschen in Viet hatten keinen Bedarf an diesen Hüten, da sie sich die Haare kurz schnitten und ihre Körper tätowierten.
Innovationen müssen das liefern, was der Kunde braucht, sonst sind sie nutzlos. Bei der Übertragung von Produkten aus einem Markt in einen anderen ist deshalb zu überprüfen, ob die Produkte dort auf einen entsprechenden Bedarf treffen. Der Kaufmann aus Song ging davon aus, dass die Menschen in Viet dieselben Bedürfnisse haben wie die Menschen in Song. Und wurde bitter enttäuscht. Viele westliche Unternehmen bringen heute die gleichen Produkte mit den gleichen Produktnamen, den gleichen Produkteigenschaften und den gleichen Verpackungen auf die BRIC-Märkte. Und werden teilweise auch bitter enttäuscht.
Gerade bei der Einführung von Produkten in andere Kulturkreise sind die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zu berücksichtigen. Es kommt zum einen darauf an, eine Kompatibilität im Hinblick auf die kulturspezifischen Eigenheiten des Zielmarktes herzustellen. Diese Eigenheiten bestimmen die Grundbedürfnisse der Kunden des Zielmarktes. Dies fängt beim Produktnamen an, betrifft aber auch unter Umständen die Produkteigenschaften. Hat mein Produktname in der Landessprache eine negative Bedeutung? Rufen Produktform und –farbe vielleicht abschreckende Assoziation bei der Zielgruppe hervor? Möchten die Menschen mit einem Produkt ihre Individualität zur Schau stellen oder sich lieber als Teil einer Gemeinschaft zeigen?
Zum anderen müssen die sozialen und wirtschaftlichen Lebensumstände des Zielmarktes beachtet werden. Dazu zählen z.B. die Lebensumstände, das Lohnniveau, die Infrastruktur, der typische Tagesablauf und vieles mehr. Ein Haushalt ohne Waschmaschine braucht ein anderes Waschpulver als ein Haushalt mit Waschmaschine. Ein Haushalt ohne Backofen und Gefriertruhe kann wenig mit einer Tiefkühlpizza anfangen. Dies betrifft wiederum die Produkteigenschaft, aber auch die Verpackung. Eine westliche Packungsgröße eines Pflegeproduktes, die in einem BRIC-Markt ein Monatsgehalt kostet, lässt sich dort vermutlich kaum verkaufen.
Fazit
Aus dem über 2.000 Jahre alten daoistischen Werk Zhuangzi lassen sich also folgende Lehren für Innovatoren der heutigen Zeit ziehen:
- Der Nutzen einer Technologie wird durch ihren Einsatz bestimmt. Bei der Einführung einer neuen Technologie ist der Einsatz gemäß dem Nutzen anzupassen.
- Erfolg oder Misserfolg einer Innovation hängen maßgeblich vom verwendeten Geschäftsmodell ab. Radikale Innovationen erfordern oft neue Geschäftsmodelle.
- Bei der Übertragung von Produkte in andere Märkte – insbesondere in anderen Kulturkreisen – sind die kulturellen, sozialen und wirtschaftliche Unterschiede zu berücksichtigen.
Weitere Hinweise aus dem Daoismus führen uns zum Dao der Innovation, bei dem der natürliche Flow (ziran) der Kreativität durch eine Balance aus Aktion (wei) und „Geschehen-Lassen“ (wuwei) erreicht wird (siehe Blog-Beitrag „Dao of Innovation“).
Für diesen Blog-Artikel wurde die Reclam-Ausgabe des Zhuangzi von Günter Wohlfart verwendet.
Kommentar schreiben